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Sünde

von Pfarrer Thomas Gruber.

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.

Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde.

Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.

Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Matthäus 18,15-20

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen.

Erlaubt mir in meiner ersten Predigt gleich nach meinem Urlaub über ein Thema zu reden, das zwar wesentlich zum Glauben gehört, worüber man aber sehr ungern reden mag: Über die Sünde.

Fragt die Mama nach der Kirche die Kinder, worüber denn der Pfarrer in der Messe gepredigt habe. Die Kinder antworten: Über die Sünde. Ja und? Was hat er darüber gesagt? Fragt die Mutter nach. Die Antwort der Kinder: Er war dagegen.

Für viele hat das Wort Sünde einen (zu) negativen Beigeschmack. Viele glauben, das Wort Sünde sei nicht mehr zeitgemäß: Gott ist so barmherzig, da gibt es doch keine echte Sünde mehr.

Aber natürlich gibt es Sünden, sonst hätte Gott ja keinen Grund mehr, barmherzig zu sein. Jedes Jahr erkläre ich im Beichtunterricht der dritten Klassen, wie wichtig es ist, seine Fehler und Sünden wahrzunehmen und sie sich vergeben zu lassen. Nach dem Vaterunser im Gottesdienst lautet es: Herr schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche. Wir erfahren immer wieder unsere Bedürftigkeit.

Was aber ist Sünde genau? Sicherlich man muss genau schauen:

Sünde wird heute häufig nur im Zusammenhang mit dem 6. Gebot gebraucht und von vielen nicht mehr so ernst genommen. Man muss ehrlicherweise zugeben: Mit dem Wort Sünde kann man Menschen sehr gut große Schuldgefühle einreden, das Wort Sünde hat für manchen einen zu belehrenden Beigeschmack.

Es konnte und es kann durch den Begriff Sünde vielen die Lebensfreude verdorben werden. Durch das Wort „Sünde“ kann also sehr leicht zu Missbrauch und zu Missverständnissen kommen, die zu seelischen Schäden führen. Das muss man ehrlicherweise zugeben. Doch die Sünde ist etwas, wovon unser religiöses Leben immer wieder erzählt.

Es dürfte bekannt sein, dass das Wort Sünde von Absondern, sich Ausgrenzen kommt. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, auch ganz im religiösen (nicht nur im soziologischen) Rahmen. Wenn ein Mensch sündigt, dann schneidet er sich ein Stück weit aus der Gemeinschaft heraus. Der Mensch, der sündigt, tut etwas gegen die Gemeinschaft, er fügt ihr Schaden zu. Die Gebote machen dies sichtbar. Sie werden sicherlich als eine Einschränkung empfunden, doch die innere Einsicht sagt einem, dass die Gebote für die Gemeinschaft immer am besten sind. Der Einzelne muss darum immer ringen. Oft brauchen manche Menschen ihr ganzes Leben lang, um für sich selbst und die Gemeinschaft einen Weg zu finden. Oftmals sind Gebote auch mit dem Kampf gegen den persönlichen Freiheitsdrang verbunden. Oftmals erkennen Menschen erst mit der Reife der Lebenserfahrung, dass uneingeschränkte Freiheit nicht alles ist.

Liebe Schwestern und Brüder,
die Sünde ist ein Absondern, ein unsichtbares und oftmals leicht zu übersehendes sich Ausschließen aus der Gemeinschaft und seiner eigenen Beziehungsfähigkeit, die Fähigkeit, echte Beziehungen mit den Andern einzugehen.

Doch:
Die wichtigste Beziehung ist für uns die Beziehung zu Gott und somit ist die schwerste Sünde (Todsünde) das Absondern von Gott und seiner Liebe.

Die Lesung hat dies heute schon bestätigt. Wir sündigen, wenn wir uns nicht von Gott lieben lassen. Sich lieben lassen heißt, sich bedürftig zeigen. Sich lieben lassen heißt, die Gemeinschaft mit Gott zu suchen und sich von ihm halten zu lassen.

Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Gerade das Gebet in seinem Namen und die Gemeinschaft in seinem Namen ist für uns wichtig. Ein Mensch, der die Gemeinschaft mit dem anderen Menschen nur als Mittel zum Zweck seiner eigenen Selbstverwirklichung sieht, wandelt eigentlich schon auf dem Weg der Sünde. Ein Mensch, der nach der Gemeinschaft sucht und in ihr die Erfüllung findet, der hat seinen Sinn bereits gefunden. Gott ist unser Ziel, er erfüllt uns. Wenn wir nicht abgesondert von ihm leben, dann brauchen wir keine Angst zu haben, auch wenn uns immer wieder die Sünde im menschlichen Bereich begegnet.

Gerade hier zeigt uns Jesus im Evangelium den rechten Umgang mit der Sünde, um die eingangs schon erwähnten Missbräuche zu vermeiden.

Ohne die Verbindung mit Gott und seiner Liebe würde gerade auch der Umgang mit Menschen, die schwach und sündig sind, nicht glücken. Rechthaberisch, herablassend und belehrend wäre der Umgang mit den schwächeren Menschen. Das Evangelium zeigt einen vernünftigen Umgang aus Liebe mit denen, die es brauchen.

Gewiss klingt es etwas formalistisch, was wir von Gericht, Zeugen, Berufung, usw. gehört haben. Das Evangelium spricht hier in der alten rechtlichen Sprache des alten Testamentes. Doch es zeigt auch für heute den Umgang mit dem Sünder. Auch wenn die Sünde abzulehnen ist, dem Sünder ist immer in Liebe zu begegnen, so Jesus. Ihn herablassend zu belehren, ist nicht im Sinne Jesu und damit ohne Liebe. Wir kennen oft die genauen Gründe der Tat eines Sünders nicht; doch oft fehlt dem Sünder die Liebe, die er vormals nicht erfahren hat.

Die Liebe redet auf gleicher Augenhöhe, sie versucht alles, und nur unter großen Schmerzen, wenn menschliche Grenzen alle schnellen Lösungen unmöglich machen, muss womöglich auch eine Trennung von der Gemeinschaft hingenommen werden. Doch, wie es Augustinus schön formuliert: Die Regel Gottes ist: Gott verabscheut die Sünde; doch er liebt den Sünder. Das ist der Weg des Glaubens, der Weg der Liebe, der Weg der Kirche, wenn in ihr der Geist der Liebe wirkt.

Um diesen Geist der Liebe bitten wir tagtäglich, damit das, was wir Sünden nennen bei uns nicht mächtig wird. Sünde heißt Sich-Absondern, doch wir binden uns in die Gemeinschaft mit Gott ein.

Amen.