von Pfarrer Thomas Gruber.
Da trat Petrus hinzu und sprach zu ihm:
Matthäus 18,21-35
Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal?
Jesus sprach zu ihm:
Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.
Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und zu zahlen.
Da fiel der Knecht nieder und flehte ihn an und sprach:
Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen.
Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch.
Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Denar schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach:
Bezahle, was du schuldig bist!
Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach:
Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen.
Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.
Als nun seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte.
Da befahl ihn sein Herr zu sich und sprach zu ihm:
Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?
Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldig war.
So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.
Können wir barmherzig sein? Können wir jederzeit Barmherzigkeit walten lassen?
Auf diese Frage werden sicher viele antworten: „Ja sicher kann ich barmherzig sein. Aber nicht bei jedem: Wenn mir einer übel kommt, dann hat die Barmherzigkeit eine Grenze. Und die ist hart wie Stahl.“
Das Thema der Barmherzigkeit und der Vergebungsbereitschaft gegenüber Menschen, gegenüber Gott und gegenüber Situationen, wo man Verletzungen oder fehlende Wertschätzung erfahren hat, ist ein Dauerthema unseres Lebens. Heute im Evangelium wird es sogar so angesprochen, dass man es als Kernthema unseres Lebens betrachten kann.
Denn natürlich ist die „Vergebungsbereitschaft“ bei jedem ein Thema. Jeder löst sie immer irgendwie anderes.
Und – wie es ein jeder mit wie viel Zeit löst, bleibt jedem selber überlassen.
Grundsätzlich wird aber von Jesus heute um die Barmherzigkeit geworben.
Ein(e) „Jeder/Jede“ hat in sich etwas, was Barmherzigkeit braucht, wie auch immer!
Die besonderen Zahlen „sieben“ und „siebenundsiebzig“, im soeben gehörten Evangelium, wollen schon von vornherein klar machen, dass dieses Thema von Versöhnung und Vergebungsbereitschaft unheimlich weltumspannend und grundsätzlich ist. Es ist ein Dauerthema eines jeden von uns im alltäglichen Leben, nicht nur eine Sache von wenigen.
Jeder weiß, nur schlichte Barmherzigkeit – blind und ohne Ziel – führt nur dazu, dass man ausgenutzt wird. Ja, das stimmt, aber trotzdem bleibt die Versöhnung immer eine Aufgabe, die nie aus den Augen verloren werden darf.
Die Barmherzigkeit ist die Währung wahrer Menschlichkeit. Das war auch das Moto des letzten „Heiligen Jahres“, das von Papst Franziskus ausgerufen wurde.
Heute im Evangelium werden zwei Diener beschrieben.
Der eine bekommt vom Herrn 10000 Talente erlassen, und der andere Diener bekommt keine 100 Denar erlassen.
Beim ersten mal Hören, fragt man sich, warum der erste Diener dem zweiten es nicht vergeben konnte, wenn er doch schon so viel erlassen bekam.
Beim zweiten Mal durchlesen kommt dann doch eine aktuelle Spannung – also ein Unterschied – zum Vorschein, der diese so unbarmherzige Aktion des ersten Dieners ein wenig „verstehbar“ (wenn man es so sagen darf) machen kann.
Bei der ersten Vergebung ist es eine schier unglaubliche und schier nicht zu vermessene Vergebung: 10.000 Talente sind der 10fach Staathaushalt der Provinz Palästina. Das ist schier unglaublich. Völlig unvorstellbar.
Der zweite Betrag gehört zu einer normal eintreibbaren Summe, die man ja auch brauchen kann.
Dieser Unterschied macht ein bisschen verstehbarer, warum wir selbst oft keine Barmherzigkeit in kleinen Dingen des Alltages haben, und doch oft von der („unvorstellbar großen“) Barmherzigkeit Gottes gerne reden oder wir sie für uns immer gerne auch in Anspruch nehmen. Oder etwas schärfer formuliert: Warum sind oftmals tiefgläubige Menschen, die an eine grundsätzliche Barmherzigkeit glauben, auch manchmal so unbarmherzig in so machen (alltäglichen) Situationen.
Um es noch einmal zu sagen. Wir sind oft gerne unbarmherzig mit uns selbst, mit anderen oder gar mit Gott, weil uns etwas fehlt, was wir gerne haben möchten, weil wir es brauchen. Nämlich Anerkennung und Liebe. Da ist irgendwie ein Graben zwischen dem Alltag und der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, die wir alle schenkt bekommen haben.
Diese Dinge sind ernst zu nehmen und nicht einfach unter den Tisch zu kehren.
Doch hinter dem Ganzen will Jesus heute aufdecken:
Die „Unendliche Barmherzigkeit“ (von oben) ist euer Kapital, ja sie ist die Währung der Menschlichkeit, die immer wieder „verwendet“ werden muss, um weiter zu kommen.
Anselm Grün schreibt in seinem berühmten Buch der Vergebung sehr praktisch von 5 Schritten, um in der Vergebung weiterzukommen, indem er unsere Psyche hinsichtlich der Vergebung im Blick hat. Er gibt eine Antwort, wie ich die übergroße Barmherzigkeit Gottes mit meiner persönlichen Vergebungsbereitschaft verbinden kann. Ich zitiere die Worte des Autors selber:
Den Schmerz zulassen
Der erste Schritt besteht darin, den Schmerz nochmals zuzulassen. Wir sollen den, der uns verletzt hat, nicht sofort entschuldigen: „Vielleicht hat er es nicht so gemeint. Vielleicht konnte er nicht anders.“ Ganz gleich, wie der andere es gemeint hat, mir hat es wehgetan. Und es tut mir immer noch weh.
Die Wut zulassen
Der zweite Schritt ist: die Wut zulassen. Die Wut ist die Kraft, den, der mich verletzt, aus mir heraus zu werfen. Wut schafft eine gesunde Distanz zum andern. Solange das Messer noch in meiner Wunde steckt, kann ich nicht vergeben. Da wäre Vergebung nur Selbstverletzung. Ich muss das Messer erst heraus werfen, damit die Wunde zu heilen vermag.
Objektiv anschauen
Beim dritten Schritt versuche ich, objektiv anzuschauen, was geschehen ist. Ich versuche, zu verstehen, warum der andere mich verletzt hat und warum es mich so tief getroffen hat. Wenn ich mich und den andern verstehe, kann ich die Verletzungen leichter loslassen.
Befreit durch Vergebung
Erst an vierter Stelle kommt dann der eigentliche Akt der Vergebung. In der Vergebung befreie ich mich von der Bindung an den andern. Ich lasse das Geschehen bei ihm. Ich gebe es weg. Manche werden nicht gesund, weil sie nicht vergeben. Andere können nicht in Frieden sterben, weil sie noch nicht vergeben haben. Vergebung ist ein therapeutischer Akt. Er tut mir gut. Er befreit mich vom negativen Einfluss derer, die mich verletzt haben. Ich denke nicht mehr über sie nach. Ich lasse ihr Verhalten bei ihnen. Das heißt noch nicht, dass ich dem andern gleich um den Hals fallen muss. Manchmal muss ich meine Grenze achten und mir eingestehen, dass ich seine Nähe noch nicht ertragen kann. Trotzdem habe ich ihm vergeben.
In Perlen verwandeln
Der fünfte Schritt wäre dann die Kunst, die Wunden zu Perlen zu verwandeln. Wenn ich nur die ersten vier Schritte gehen müsste, hätte ich immer das Gefühl, ich sei benachteiligt mit meinen Verletzungen. Der fünfte Schritt zeigt mir, dass in den Verletzungen auch eine Chance liegt, dass sie mich eine kostbare Erfahrung gelehrt haben. Die Wunden sind der Ort, an denen ich Gott und mein wahres Wesen auf neue Weise erkenne.
Quelle: Anselm Grün: Fünf Schritte zur Vergebung auf www.kirchenzeitung.at
Vergebung hat eine große seelische Seite, und Gott lässt uns die Zeit dazu; doch die Vergebung bleibt eine Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können.
Sie soll die Währung unseres Herzens sein. Damit die Vergebung auch wie eine Zaubermünze wirkt.
Da gibt es eine einfache und schlichte Geschichte dazu, die auf diesen Vergleich abhebt:
Es gab einmal eine Stadt, in der lebten sehr geschäftige Menschen. Sie sagten stets „Ich“ und waren sehr ernst und liefen hinter dem Geld und hinter der Zeit her. Sie sahen ihren Mitmenschen kaum, höchstens, wenn er ihnen im Wege war. Dann waren sie sehr böse. Sie besaßen fast alles. Doch eines war ihnen abhanden gekommen: das Lächeln. Und alles war sehr traurig.
Ein Weiser sprach zu sich: Eine solche Welt ist unmenschlich. Ich werde sie ändern. Und er holte aus dem Schubfach ein Erbstück, eine goldene Münze. Und er ging in die Fußgängerzone und schenkte die Münze einem Kind, einfach so. „Für dich“, sagte er.
Da schaute das Kind sehr verwundert und lief glücklich davon. Ich habe das Kind froh gemacht, dachte der Mann und freute sich.
„Schau, was ich habe“, sagte das Kind und schenkte das Goldstück der Mutter. Da sah das Kind, wie die Mutter sich freute, und es freute sich mit.
Und die Mutter schenkte die Münze einem armen Mann. Und der fand einen, der noch ärmer war.
Und überall, wohin die Münze kam, da kam die Freude mit. Wie eine ansteckende Gesundung ging’s durch den Ort. Das Bild der Stadt änderte sich langsam von Tag zu Tag. Die Münze wurde zum Zeichen der Liebe. Und diese hatte verwandelnde Kraft und machte die Stadt zu einem Ort glücklicher Menschen.