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Das hörende Herz

von Pfarrer Thomas Gruber.

In jenen Tagen erschien der HERR dem Sálomo nachts im Traum und forderte ihn auf:
Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll!

Und Sálomo sprach:
HERR, mein Gott, du hast deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht aus noch ein. Dein Knecht steht aber mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht! Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren?

Es gefiel dem Herrn, dass Sálomo diese Bitte aussprach. Daher antwortete ihm Gott:
Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht.

1 Könige 3,5-12

Bitte nicht zu überrascht sein, wenn Sie wieder die Lesung vom letzten Sonntag gehört haben. Das „Hörende Herz“, das König Sálomo von Gott erbittet, und Gott ist hoch entzückt über diese schöne und sehr weise Bitte.

Nicht Reichtum, nicht Klugheit, nicht langes Leben und nicht das Vernichten seiner Feinde erbittet Sálomo, sondern ein hörendes Herz. Er gibt uns damit auch einen sehr schönen Lebenstipp für heute und jetzt.

Zwei Mal habe ich das Thema des „Hörenden Herzens“ in größeren Reden von namhaften Vortragenden gehört.

Im Jahre 2011 war es Papst Benedikt XVI, der im Deutschen Bundestag das hörende Herz für die Politik erbeten hat. Eine politische Gemeinschaft muss hören und ein gerechtes Herz haben, sonst ist die politische Elite die reinste Räuberbande. Das waren Worte (herrührend vom Heiligen Augustinus), die wahrlich „sitzen“. Von einer Räuberbande wollen wir uns schließlich nicht regieren lassen. 

Das zweite Mal war es ein Sozialwissenschaftler mit dem Namen Hartmut Rosa, der das „Hörende Herz“ zum zentralen Thema unserer Zeit gemacht hat. In Vorträgen, die der in diesen Monaten im Umkreis von Jena, wo er lehrt, und in ganz Deutschland (z. B. in Würzburg) gehalten hat.

Rosa schreibt und spricht von einer Gesellschaft, die immer „größer“, „besser“ und „schneller“ sein muss, damit sie bestehen kann. Er stellt fest: Unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem stehen unter dem Druck des Wachstums, damit alles funktioniert. Er sagt sogar, die gegenwärtige Gesellschaft braucht, um den gegenwärtigen Wohlstand noch halten zu können, immer mehr Energie, physisch und psychisch. Viele fühlen (bereits) dieses Hamsterrad, das uns bestimmt. „Langsamer machen!“ ist zur Zeit der Zentralwunsch fast aller – und doch, wir haben „unser Tempo“, und da muss man mithalten.

Um mitzuhalten in unserer Gesellschaft, könne man nur noch aggressiv werden, meint der Sozialwissenschaftler Rose weiter. Und dann mahnt er deutlich an: Wir brauchten ein „Hörendes Herz“. Nicht nur einen „frechen Mund“, der jetzt aufschreit. Schreien wollen viele. Und doch, viele wollen gar nichts mehr sagen, weil es ja doch kein Ohr gibt, das hört.

Die Wut und der Aufschrei sind vielerorts zu hören und zu lesen. Doch wo ist das Ohr und vor allem ein Herz, das von Ehrfurcht und Ruhe getragen ist? Ein Herz, das noch Gott fürchten kann, weil alles in ihm endet? Wir brauchen dieses „Hörende Herz“, weil uns ein Sinn in das Leben gerufen hat. Wir sind nicht das Zahnrad in einem leblosen Uhrwerk, das monoton dahin rattert. Wir sind gerufen von einem liebenden Gott, der uns (an-)sprechen und Vertrauen wachrufen will.

Gott und unser Glaube mögen wieder Vertrauen säen. Die Samen des Vertrauens, die (leider „gerne“) schon verloren zu sein scheinen.

Mit Vertrauen und Geduld müssen auch im Evangelium (Matthäus 13,24-30) die Arbeiter handeln. Mit Wut und Aufschrei stellen sie fest, dass da auf dem Feld auch Unkraut wächst – und damit auch im Leben. Doch Gott mahnt: „Halt! Ernten tu ich; ihr pflegt bitte mit einem hörenden Herzen die Saat; macht bitte nicht mehr! Denn sonst ist der Schaden durch euer ungeduldiges Tun ein noch größerer!“.

Herr, gib uns ein „Hörendes Herz“!
In der Gesellschaft und in der Politik, in den Familien und – vor allem – bei mir selbst. Das hörende Herz ist auch ein „aufhörendes Herz“. Es gebietet Einhalt und stoppt so manchen Unsinn, in den wir uns verrannt haben, weil wir nur noch rennen und doch nicht (mehr) weiterkommen.

ACH HERR, GIB DER WELT EIN HÖRENDES HERZ!