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150 Jahre Heimat- und Traditionsverein

von Pfarrer Thomas Gruber.

Liebe Vereine, liebe Schwestern und Brüder, doch vor allem liebe Mitglieder des Heimat- und Traditionsvereins Hallbergmoos, der auf 150 Jahre zurückschaut.

Als Nachredner habe ich es immer ein bisschen leichter, ich kann spontan die Dinge weglassen, die mein Vorredner, Pfarrer Schubert, bereits gesagt hat und somit die restlichen Dinge noch ansprechen. Obwohl „restlichen Dinge“ nicht heißt, dass die unwichtigeren Dinge nun Thema sind.

Meine Ausgangsfrage stützt sich an die Gedanken meines Evangelischen Amtskollegen. Warum wurde vor 150 Jahren der Krieger- und Soldatenverein Hallbergmoos gegründet? In der soeben erscheinenden Chronik des Vereins, der ja jetzt den Namen Heimat- und Traditionsverein trägt, kommt die Historie auch in ihren Fundamenten gut zum Ausdruck. In einer Zeit, als der Staat sich allmählich als säkulare Gemeinschaftsform zu bilden und etablieren versuchte, waren die Vereine die besten Hilfsmittel: Trachten- und Schützenvereine sind sie wie Pilze aus dem Boden der Gesellschaft geschossen. Es wurde ein neues Wir-Gefühl geschaffen, ob national, sozial oder politisch wurden neue Töne angeschlagen. 

Die Gründung des KSV Hallbergmoos, zwei Jahre nach dem Deutsch-Französischen Kriegs, kann ganz auf dieser Linie gesehen werden. Es ging um die Menschen mit der schweren Kriegserfahrung, dem Austausch von Erlebten. Wegen der aufkommenden allgemeinen Wehrpflicht und den wieder erstarkten nationalen Gefühlen war die Gründung des Kriegerverein damals nicht ganz frei von Glorifizierungen eines möglichen Waffengangs zur Verteidigung des Landes, zumindest wurde er hoffähig gemacht. Vor 150 Jahren baute man sich dazu auch gezielt Feindbilder auf. Gott sei dank gehört ein Feindbild wie die damalige „Deutsch Französische Erbfeindschaft“ schon lange der Vergangenheit. Ganz im Gegenteil, vor 60 Jahren mit dem Élysée-Vertrag ist diese sogar schon zur Freundschaft umgewandelt worden.

Der Krieger- und Soldatenverein hat im Laufe der Zeit auch Entwicklungen durchgemacht. Nach den brutalen Erfahrungen des ersten Weltkrieges war es mit dem Glorifizieren des Krieges schnell vorbei. Die schweren Traumatisierungen der Überlebenden aus diesem Krieg, der eine wahre menschliche Tragödie war, waren unübersehbar. Es wurden neu KSVe gegründet, wie zum Beispiel in Goldach. Doch bei diesen war das sogenannte Kriegstreiben nicht mehr im Programm. Der Austausch über die vielen seelischen Wunden stand da im Vordergrund. Da viel psychologische Betreuung (und dazugehörende Verständnis) fehlte, war das Zusammenkommen in diesen Vereinen damals auch geradezu eine „Pflicht-Hilfe“. 

Auch wenn vor gut 100 Jahren der Krieg bereits als ein großes Übel erkannt wurde und auch die Kriegervereine dies in das neue Bewusstsein zu übernehmen versuchten, konnten diese die Entwicklungen zum Zweiten Weltkrieg leider noch nicht aufhalten: Die nationalen Bewegungen und deren Gefühle wurden vor gut 80 Jahren schamlos von einer Partei und darin von einem ganz gewissen Mann (A. Hitler) aufgegriffen und völlig ins Verbrecherische geführt. Wieder musste man auf Millionen Tote schauen. Und da zu diesem schrecklichen Ereignis die Technik zum Töten noch ausgefeilter war, war auch die Aufarbeitung dieser schrecklichen Ereignisse unbedingt zu tätigen. Viele Familien konnten die tragischen Ereignisse allein nicht mehr stemmen. Auch hier darf ein gewisser Zusatzbeitrag der Vereine gesehen werden. Gott sei Dank ist hier auf breiter Basis viel geschehen, und es ist viel aufgearbeitet worden. Doch die Arbeit um den Frieden ist nicht zu Ende, und die großen Rückschläge in Sachen Friedensarbeit sind, nicht erst seit der Ukraine Krise, immer wieder zu spüren.

Vor 10 Jahren hat der KSV Hallbergmoos sich die Heimat und die Tradition auf die Fahnen geschrieben. Auch in diesem Schritt geschieht Friedensarbeit und Formung der Gesellschaft. Aus gutem Grund: Eine Gesellschaft und ein Staat braucht nach wie vor Gemeinschaften und Vereinigungen, die Werte erhalten und verteidigen. Unbedingt.

Der Staatsphilosoph Ernst Wolfgang Böckenförde formulierte diesen Gedanken in einem Satz, das später auch als das „Böckenfördische Diktum“ diskutiert wurde: Eine Gesellschaft (besser „ein Staatgebilde“) in der heutigen freien säkularen Welt lebt von Voraussetzungen, die sie selber nicht hervorbringen und garantieren kann. Oder mit anderen Worten klarer gesprochen: Unsere Gesellschaft braucht Quellen wie Werte, Tradition und Heimat, die sie nicht aus sich selbst hervorbringen kann. Es braucht also immer Vereinigungen, Gemeinschaften an der Basis und damit Vereine mit Wurzeln in den Wertetraditionen. Und damit natürlich auch den Glauben (!) als Wegweiser zum Höheren. Immer auch als Wertevermittler für unsere Gesellschaft. Bei der neuen Ausrichtung als Heimat- und Traditionsverein vor 10 Jahren wurde auch ein klares Ziel formuliert: Wer die Geschichte vergisst, verliert die Heimat. 

Liebe Schwestern und Brüder,
Kronzeuge für diese Gedanken ist der heutige Text aus der Lesung. Damit kommt eindeutig auch unser Glaube an Gott ins Spiel, auf den ich bei meiner Predigt zu sprechen kommen möchte. Aus dem 5. Buch Mose, dem Deuteronomium, ist mein Lesungstext heute genommen. Im 26. Kapitel heißt es:

Mein Vater war ein heimatloser Aramäer, der nach Ägypten zog, dort schlecht behandelt wurde, aber von Gott geführt und wieder aus der Knechtschaft befreit wurde. Schließlich kam er in das Land, wo Milch und Honig fließen.

Dieser Text gilt bei den Fachleuten als der älteste Text in der Bibel schlechthin. Die Wörter und der Satzbau dieser Bibelstellte des 26. Kapitels sind für den Bibel- und Sprachkenner äußerst alt und zeugen von einer sehr alten Sprach-Tradition. Doch diese alten Zeilen sind kraftvoll und für den Glauben von heute nach wie vor relevant; denn er bringt zum Ausdruck:
Der Mensch ist nach wie vor ein Mensch, der unterwegs ist. Viel Belastendes auf dieser Welt begleitet ihn; doch der Herr, sein Gott und Schöpfer, bleibt stets der Begleiter in jeder Not und führt schließlich in ein Land, wo Milch und Honig fließen.

Dieser Text ist ein grundlegendes Glaubensbekenntnis: Wir Menschen sind auf geistigen Heimatboden angewiesen. Selbst derjenige der immer unterwegs ist, weiß, dass es Wurzeln und Verankerungen im Tieferen des Lebens braucht. Traditionen verankern, ohne Traditionen hätte auch der Glaube keinen Boden. Wer auf Gott vertraut, hat Heimat.

Dieser alte Text spricht von Abraham, dem Stammvater aller Glaubenden und von den Israeliten, die – aus Ägypten befreit – wieder Boden und Heimat bekamen. 

Dieser alte Text ist auch jetzt noch hoch aktuell: Wir bekommen auch heute von Gott Mut zugesprochen, Trost und Hoffnung zugesagtHeimatlos leben hieße, „haltlos“ zu leben. „Heimatlicher Boden“ und die Verheißungen Gottes sind unmissverständlich miteinander verknüpftHeimat ist und bleibt immer etwas, was nur von Gott gegeben sein kann. Alles andere hat keine so tiefen Wurzeln. Da wo Heimat gepflegt wird, geschieht bereits Dienst am Glauben. Und dort, wo Traditionen erhalten, der Boden gepflegt wird, da hat auch echter Glauben eine reelle Chance zu wachsen. Das gilt für die Familien im Besonderen; doch auch für die Gemeinschaften, die den gelebten Glauben im Programm haben.

Liebe Schwestern und Brüder,
dort, wo Heimat und damit auch die Verwurzelung in den tieferen Sinn des Lebens fehlen, haben es echte Werte schwer(er). Oberflächlichkeit führt leicht zu Extremisierung, schlimmstenfalls zu einem haltlosen Populismus. Man glaubt, dass Extremisierung und oberflächliches Leben sich leichter in die Gesellschaft durch das Internet einschleichen. Doch ich meine vielmehr, Extremisierung und oberflächliches Leben kommen nicht alleine durch die schnellere und vielseitige „mediale Welt“, vielmehr macht diese nur die Wertelosigkeit und Oberflächlichkeit in gegenwärtigen Gesellschaften schneller offenkundig.

Schauen wir auf diesen Boden der Werte, die wir brauchen, damit Gesellschaft funktioniert. Und dazu gratuliere ich dem Heimat- und Traditionsverein hier am Ort und seiner Aufgabe weiterhin auf Werte zu schauen, so wie es der Glauben auch immer zu tun hat. Amen.