von Pfarrer Thomas Gruber.
Und er ging von dort weg. Und er kommt in seine Vaterstadt. Und seine Jünger folgen ihm. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge.
Markus 6,1-6
Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten:
Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?
Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab.
Da sagte Jesus zu ihnen:
Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.
Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte.
„Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen!“
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein bisschen schrill hat es schon gewirkt, als die große Schlagersängerin Katja Epstein, dieses Lied sehr erfolgreich Anfang der 70er Jahre beim Europäischen Songcontest (Grand Prix Eurovision de la Chanson) gesungen hat. „Wunder gibt es immer wieder“. Die Älteren werden sich vielleicht an dieses Lied erinnern, den Jüngeren ist es wohl weniger vertraut, … sind die 70er Jahre mit ihren extravaganten Moden und Klängen doch schon sehr weit weg. Doch dieses Lied „Wunder gibt es immer wieder“ von Katja Epstein hatte damals offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen. Kurz nach dem Erfolg 1970 ist es auf Anhieb gleich in 7 Sprachen übersetzt worden. Die Lyrik, so einfach auch immer, bewegte wohl die Menschen der ganzen Welt:
„Viele Menschen fragen, was ist schuld dran,
warum kommt das Glück nicht zu mir,
fangen mit dem Leben viel zu wenig an,
dabei steht das Glück schon vor der Tür.
Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen,
Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehen.“
Wunder, so besang es dieser Schlager, sind in erster Linie keine sensationsorientierten Ereignisse, sondern Türen zum persönlichen Glück. Das Glück als Ziel eines jeden menschlichen Daseins kann im Wunder wieder neu entdeckt werden. Ist es doch auch eine alte philosophische Erkenntnis (siehe Aristoteles), dass der Mensch erst, wenn er sich wundert und über etwas staunt, wirklich erst „aufwacht“ – aus seinem (manchmal) stupiden Lebensauflauf, der ja mehr ist als nur „geboren werden“, „essen“ und „trinken“, „Kinder kriegen“, ein bisschen „Spaß haben“ und dann wieder „sterben“.
Das Glück, das in jedem Menschen schlummert, kann gerade durch die Wunder entdeckt werden.
Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen.
Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen musst du sie auch sehen.
Liebe Schwester und Brüder, an dieses Lied musste ich denken, als ich das Evangelium für heute gelesen habe.
Jesus tat am Anfang des Markusevangeliums Wunder am laufenden Band. In Galiläa wurde er in erster Linie als der erkannt, der den Menschen einen neuen Weg zum Glück zeigte – und dazu gab ihm Gott die Vollmacht, Wunder zu wirken.
Und nun kommt er da in seine Heimatstadt, also nach Nazareth – dorthin, wo er doch ein Heimspiel (für die Wundermacht Gottes) gehabt hätte. Aber da trifft ihn harte Ablehnung. Da wundert sich zum Schluss dann nur noch einer: Nur noch Jesus selbst. „Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen musst du sie auch sehen.“ Nun, in Nazareth sah niemand Wunder, bis auf ein paar Ausnahmen.
Warum, wohl? Ist Gott doch nicht allmächtig? Oder was ist da los?!
Die Antwort ist heute in dieser Markusstelle nicht schwer herauszufinden. Zunächst kann man schon erkennen, was das größte Wunder ist: Es ist der Glaube. Wenn ein Mensch glaubt, dann trägt er schon einen wahren Schlüssel zum Glück in sich: Einen ausgewogenen Glauben natürlich. Ein naiver Kinderglaube ist da nicht gemeint. Der Glaube an sich selbst, das gesunde Vertrauen in den Anderen und der bergende Glaube an Gott sind da gemeint. Der Glaube in ausgewogener Form öffnet die Augen für das Glück.
Die Augen für das Glück haben die Leute in Nazareth anscheinend nicht! Weil sie irgendwie, sagen wir mal, „zu nahe dran“ sind! Markus beschreibt im Gegensatz zu den anderen Evangelisten, dieses „ZU-NAHE-DRAN-SEIN“ sehr eindringlich: Da laufen ja noch seine Brüder und Schwestern rum, – offen bleibt, ob das jetzt Halbgeschwister oder nur Vetter und Basen sind, was man vermuten könnte. Er wird als Zimmermann beschrieben, wobei man sich da keinen smarten Schreiner mit schöner Laubsäge vorstellen darf. Jesus war kein Zimmermann wie bei uns, sondern ein Erdarbeiter in den Nachbarorten Sephoris und später Tiberias, der abends immer völlig dreckig heimkam.
Da war es wohl für die Leute aus Nazareth zu schwer zu glauben, dass er die Vollmacht Gottes in Wundern zum Glück wirken könne.
„ZU-NAHE-DRAN“, … ich denke, man kann verstehen, was mit diesem Ausdruck gemeint ist. Da, wo der Pfennig geschlagen ist, gilt er nichts. Der Prophet gilt zu hause nichts. Das „ZU-NAH-DRAN“ ist oftmals z. B. das Problem von Eltern, wenn sie ihren Kindern nichts mehr sagen können, weil sie „zu nahe dran“ sind. Das „Zu-nahe-dran“ meint wohl einen, der sich ein schönes Bild von einem Haus oder sonst was anschaut – aber wenn er nur 10 cm davon entfernt steht, sieht er halt nichts. Einen „gesunden Abstand“ braucht es schon, um Wunder wieder sehen können und um ihnen zu begegnen. Jesu Macht, die Augen für Wunder zu öffnen, braucht einen „gesunden Abstand“, damit der Glaube und das Glücklichsein sich auch entfalten können. Jesus ist nicht nur der Kumpel von nebenan. Jesus ist auch „Gottes Sohn“, wird der Hauptmann auf Golgotha sagen, als er Karfreitag vom Kreuz einen Schritt zurück gegangen ist und zu glauben begann (Mk 15,39). Jesus ist „ganz Gott und ganz Mensch“ bekennt die Kirche aus einer „gesunden Distanz“ zu Jesus heraus, welche durch vernünftige philosophische Überlegungen heraus – über die Zeit – entstanden ist.
Eine „gesunde Distanz“, die vom „Zu-nahe-dran-sein“ bewahren will, möchte Markus heute ansprechen, damit man die Wunder auch sehen kann, die einem immer wieder begegnen können.
Sicherlich, das „Zu-nahe-dran-sein“, das einem das Wunder des Glaubens förmlich raubt, kann sehr verschieden sein: Wenn ich alles im Glauben erklären will, Jesus nur als moralisches Vorbild und mehr nicht sehen will, wenn ich alles mit den Regeln der menschlichen Wissenschaft erklären will, dann bin ich wohl zu nahe dran. (Wie oft erfuhr ich im Studium, dass vielen jungen Menschen mit zu viel Wissenschaft der Glaube ausgetrieben wurde.)
Besser kennt Gott, wer zugibt ihn nicht zu kennen, sagt Augustinus – und da ist was dran.
Allein die menschliche Seite Jesu und seiner Kirche, so wichtig sie ist, reichen nicht.
Es braucht auch das Auge und das Herz, um zu glauben, dass Gott größer ist als alles andere in mir und um mich herum!
Wer nur die menschliche schwache Seite im Glauben – und besonders in der Kirche sieht, der kann wirklich verzweifeln an ihr. Denn menschliche Schwäche wird es in der Kirche immer geben, auch da ist eine gesunde Distanz immer etwas überlebensnotwendiges.
Möge uns Gott die Augen immer öffnen für die Wunder, um uns herum, lassen wir ihn ein, wenn wir loslassen von zu großem Ärger, weil uns alles zu „Nahe-dran“ ist. Möge Gott immer größer sein als unser Herz, damit auch das Wunder des Glaubens uns immer wieder über das „Allzumenschliche“ oder das „in meinem Egoismus Verschlossene“ hinaushebt. Entdecken wir die Natur, jede Begegnung, jede versöhnliche Geste als Wunder, die Gott uns heute oder morgen schenken möge.Denn Wunder gibt es immer wieder, wenn sie Dir begegnen, musst Du sie auch sehen. 😊