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Weihnachten 2021

  • Predigten
  • 4 Minuten Lesezeit

von Pfarrer Thomas Gruber.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen am heutigen Weihnachtstag,
Gott ist bei uns angekommen.

Wissen wir eigentlich, was das heißt „Gott ist bei uns angekommen“?

In der Umgangssprache ist das eigentlich ganz leicht verständlich: Gott ist einer von uns geworden. Das Evangelium aus dem Johannesprolog sagt es in den gewohnten Worten: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns Wohnung genommen“. Wir würden einfach nur sagen: Er ist einer von uns geworden. Es ist bei uns „gelandet“, jetzt ist er „in“.

Aber nochmals die Eingangsfrage: Haben wir auch so richtig verstanden, was da geschehen ist? Gott ist der Unendliche und der Unfassbare, Gott ist der Unaussprechliche. Wir Menschen können ihn nicht mit unseren „Gehirnwindungen“ einfangen. Mit dem heutigen Tag, mit seiner Menschwerdung, hat er sich aber einfangen lassen.

Interessant ist, wie er das gemacht hat:
Er kommt nicht mit einer Machtdemonstration, er kommt nicht mit einer Drohgebärde. Er will uns nicht einschüchtern.

Der mittelalterliche Theologe Wilhelm von St. Thierry sagte einmal: Wenn Gott von oben herab mit uns Kontakt aufgenommen hätte, hätte er den Weg in unser Herz niemals gefunden. Gott hat gesehen, dass seine Größe den Menschen zum Widerstand reizt, dass sich der Mensch dann in seinem Freiheitsdrang beengt gefühlt hätte. Dann hätten wir alle Gott abgelehnt, wir hätten ihn nie lieben können. Gott wählte einen neuen Weg: Er wurde ein Kind. Er wurde abhängig und schwach, unserer Liebe bedürftig. Nun könnt ihr nicht mehr Angst haben vor mir, nun könnt ihr mich nur noch lieben – so sagt uns der Gott, der ein Kind wurde.

Gottes Macht ist, dass er ankommen kann. Das Ankommen ist ein Weg ins Herz der Menschen.

Ein Beispiel kommt mir da in den Sinn, wie es ein Kaplan in seiner Pfarrjugend geschafft hat, anzukommen. Zunächst war das Verhältnis des Kaplans und der Jugend kein sehr enges. Der Kaplan konnte noch so gut predigen, er konnte noch so viele Aktionen machen, aber er schaffte es nicht das Herz der Jugend zu gewinnen. Erst bei der Silvesterparty schmolz das Eis. Genau zu dem Zeitpunkt, als in der nach-mitternächtlichen Runde der Kaplan plötzlich begann, mit einer großen Sektflasche zu tanzen, haben die Jugendlichen alle Distanz vergessen. Damals, so sagte einer der Jugendlichen, wäre er endlich „angekommen“ und hätte auch von sich aus die Jugend „lieb“ gewonnen.

Sicherlich, liebe Weihnachtsgemeinde, es ist eine sehr eigen geprägte Geschichte des Ankommens. Doch Gottes Ankommen bei den Menschen ist auch eine ganz eigene Geschichte. 

Der Hebräerbrief sagte heute, auf vielerlei Weise hat Gott versucht zu den Menschen zu reden, das ganze Alte Testament ist voll von guten und weisen Worten. Ja, in der Geschichte aller Religionen liegen viele Versuche Gottes, zu den Menschen zu sprechen. Doch „angekommen“ ist er durch seine Menschwerdung. Das Wort ist nicht über den Köpfen der Menschen geblieben, das Wort ist nicht pure Theorie, nein, das Wort hat das Leben der Menschen getroffen. Jetzt ist er angekommen, mitten unter uns. Er ist nicht mehr fern und unbegreiflich, er ist nicht mehr unaussprechlich. Nein, er selbst hat sich anfassbar gemacht. Jesus ist das sichtbare Angesicht Gottes.

Liebe Schwestern und Brüder,
Gott ist angekommen bei uns. 

Selbst die Menschen, die sagten, dass sie nicht an Gott und sein Kommen glauben, haben dieses Ankommen Gottes als tiefen Herzenswunsch verspürt.

Jean Paul Sartre, der große französische Nihilist (um dazu ein Beispiel zu nennen), hat nicht an Gott geglaubt und doch hat er sich – in seinem Werk „Bariona“ – zu folgenden Worten hinreißen lassen:

„Wenn Gott Mensch würde für mich, dann würde ich ihn lieben, ihn ganz allein. Dann wären Bande zwischen ihm und mir, und für das Danken reichten alle Wege meines Lebens nicht; ein Gott, der Mensch würde aus unserem liebenswerten elenden Fleisch – ein Gott, der das Leid auf sich nähme, das ich heute leide. Ja, wenn Gott Mensch würde für mich, würde ich ihn lieben. Aber welcher Gott wäre dumm genug dafür.“

Glauben konnte Sartre auf Grund von Kriegsenttäuschungen nicht (mehr); doch literarisch hat er es geschafft, die „Größe des christlichen Glaubens“ mit dem „Geheimnis von Weihnachten“ zu formulieren.

Für uns ist es natürlich nicht „Dummheit“, sondern Gottes gewaltige „Größe“, sich klein zu machen und Mensch zu werden. Damit zeigt er uns, dass wir unser Menschsein nicht „ausziehen“ müssen, um Gott nahe zu sein. Im Gegenteil: Gott zieht sich unser Menschsein an. Er steht dadurch zu unserem Menschsein, zu unserem Leib, zu unseren irdischen Eigenschaften und auch zu unseren Schwächen. Dahinter steht das Geheimnis der Liebe.So ist Gott angekommen bei uns. Amen.