von Pfarrer Thomas Gruber.
Liebe Gemeinde heute Abend in dieser Christmettnacht, liebe Weihnachtsgemeinde,
viele werden sich wieder darauf freuen, viele haben am Ende des Gottesdienstes wieder Tränen in den Augen, wenn es erklingt, das „Stille Nacht heilige Nacht“, von Franz Gruber und Josef Mohr. Es ist nicht wegzudenken aus den Gottesdiensten dieser Nacht – und das auf der Ganzen Welt: Das „Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht“ ist der ganzen Welt mittlerweile ein sehr verbindendes Glaubensgut und -erbe.
Ich gebe zu, vom derzeitigen Pfarrer von Eching habe ich – letztes Jahr schon – die Anregung bekommen, auf eine bestimmte Strophe dieses Liedes besonders zu schauen. Denn dieses Lied hatte ursprünglich sechs Strophen. Es werden (in leicht abgewandelter Form) aber nur noch die ersten beiden und die letzte gesungen. Die ursprünglich dritte Strophe ist leider nahezu in Vergessenheit geraten, aber eröffnet doch einen besonderen Blick auf unsere Welt und auf unsere Wirklichkeit, die oft so durcheinander und heillos scheint.
Diese dritte Strophe mag die inneren Augen wieder auftun, die uns auch verändern können und unser Dunkel aufleuchten lassen.
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höhn
Uns der Gnaden Fülle läßt seh’n
Jesum in Menschengestalt,
Jesum in Menschengestalt.
Schön beschreibt diese Strophe, dass Gott mit seinem Sohn Jesus Christus nicht nur einfach eine, sagen wir mal, eine besondere Geburt in Betlehem in Szene setzte, sondern die ganze Welt mit einem – schön im Bild gesprochen – „Goldenen Faden“ verwoben hat. Die Welt ist mit dem Menschensohn und damit auch dem Gottessohn vernetzt und innerlich tief verbunden.
In der Computersprache würde man sagen, jetzt sind wir mit Gott durch die Geburt Jesu richtig „online gegangen“.
Auch der berühmte Jesuiten Pater Alfred Delp hat sich auf diese Strophe bezogen, als er in der heillosen Zeit des Zweiten Weltkrieges und des NS-Unrechtsregimes von den „Goldenen Fäden der Echten Wirklichkeit“, die schon überall durchschlagen, schrieb. Er war damals im Gefängnis und wartete auf sein Todesurteil. Also, schön war seine Situation auf alle Fälle nicht. Doch man kennt diesen Jesuiten als bodenständig und gerade in dieser besonderen Situation war sein Herz offen für diese „Wunderbare Botschaft der Weihnacht“. Gerade in dieser großen Dunkelheit hat er diese Botschaft so kurz und schön formulieren können.
An Weihnachten hat sich Gott als goldener Faden untrennbar in unser Lebensgeflecht eingewoben. Die Stille Nacht – Strophe will sagen, dass es kein Unheil gibt, das nicht doch am Ende nicht doch noch von seinem Heil – dem Goldenen Faden – umwoben und durchzogen ist. Alles kann sich ins Goldene verändern.
Hier bei uns leben wir nicht mehr in einem Unrechtsstaat, so wie noch vor 80 Jahren; doch heute haben wir auch noch so viele Fäden, die uns mutlos machen können. Die Unsicherheiten der jetzigen Zeit, die Kriege, die Nöte und Sorgen, die Ungerechtigkeiten und auch viel an Perspektivlosigkeit können als dunkle Fäden der Welt und ihrer Geschichte gesehen werden.
Doch die Welt hat „mit heute“ auch „goldene Fäden“, ja, die Welt hängt an einem „Goldenen Faden“, darf man heute sagen.
Mit der dritten Strophe des Stille Nacht Liedes dürfen wir die Welt ganz neu lesen und wahrnehmen. Mit diesem „Goldenen Faden“ haben wir gewissermaßen ein Lesezeichen in unserem Lebensbuch. Jede menschliche Geschichte ist durchzogen von diesem „Goldenen Faden“.
Der „Goldene Faden“ ist Jesus Christus als Mensch – mit allem, was Menschen bewegt. Heute wird es wieder allen im Stall zu Bethlehem deutlich: Gerade ein Kind bewegt zunächst einmal nach wie vor so viel. Deshalb ist Gott zuerst auch Kind geworden.
Der „Goldene Faden“ wird leider so oft verstellt durch Achtlosigkeit, Gedankenlosigkeit, durch Aktionismus oder einfach nur seelisches „Laut-sein“. So vieles schafft seelischen Lärm, der uns nicht mehr schlafen lässt. Was gibt es nicht alles, was wir durch seelische Lautstärke versuchen „wegzudrücken“. Wie oft wird auch Gott weggedrückt?
Doch: Es braucht die Klarheit des „Inneren Sehens“.
Die Hirten auf dem Feld gehören da heute zu den Hauptdarstellern: Ihre Ruhe, ihre Bescheidenheit, ihre Einfachheit, ihre Bodenständigkeit wird zum „Öffner“ für den „Goldenen Faden Gottes“. Sie sehen ihn und seine Boten, die Engel. Sie können mehr wahrnehmen, weil ihnen die Augen dafür nicht verloren gegangen sind.
Liebe Weihnachtsgemeinde!
Es ist sehr einfach in Worten gesagt: Mit der Geburt hängt nun ein „goldener Faden“ von Gott herunter und will wieder unser Leben voll und ganz durchziehen. Wir dürfen ihn wieder aufnehmen und ihn weiter „in unser Leben einweben“. Gott ist da, er ist tief in uns. Er ist „das/der Innerste unseres Herzens“, das „Interior intime meo“, wie es Augustinus treffend auf Latein sagt. Er ist die Liebe und damit das Eigentliche unsers Lebens. Er liegt fest verwoben mit uns tiefer als uns bewusst ist.
Romano Guardini gibt uns dazu ein Gebet mit, damit unsere Augen auch wirklich offen dafür bleiben: „In der Stille geschehen die großen Dinge! Nicht in Lärm und Aufwand der äußeren Ereignisse, sondern in der Klarheit des inneren Sehens, in der leisen Bewegung des Entscheidens! Die leisen Mächte sind die eigentlich starken.“
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höhn
Uns der Gnaden Fülle läßt seh’n
Jesum in Menschengestalt,
Jesum in Menschengestalt.