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Liebe ist nicht nur ein Wort

von Pfarrer Thomas Gruber.

Als aber die Pharisäer hörten, dass er die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, versammelten sie sich am selben Ort. Und in der Absicht, ihn auf die Probe zu stellen, fragte ihn einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer:
Meister, welches Gebot ist das höchste im Gesetz?

Er sagte zu ihm:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Dies ist das höchste und erste Gebot.
Das zweite aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten,
als Zeichen der Liebe ist Jesus gestorben,
als Zeichen der Liebe für die Welt.

Liebe Schwestern und Brüder,
so lautet ein früher oft gesungenes Lied aus der Jugendliturgie, das vielen vielleicht sogar bekannt ist.

Die Liebe ist unsere wichtigste Tugend, also unsere wichtigste Eigenschaft. Wer auf Hochzeitsgottesdiensten ist, hört sie oft, diese schönen Worte vom Apostel Paulus aus dem ersten Korintherbrief, wo dieser sagt: „Wäre aber die Liebe nicht, wäre alles nur tönendes Erz, also nichts undnichtig.“ Und doch bringt uns die Liebe auch viele Sorgen ein.

Manch einer mag nach so mancher Liebesenttäuschung sagen: „Ach könnten wir auf die Liebe nicht dochverzichten?“ Sie bringt doch nur Eifersucht in so vielen Beziehungen, so viel Schmerz nach einer Trennung, sie ist Ursache von Ungeduld, wenn manches zu sehr der Liebe unterliegt oder führt sogar zu Fanatismus, wenn die Liebe übertrieben wird. Ach, diese Liebe hat es schon in sich!

Natürlich kann man sie nicht abschaffen. Denn sie ist der Lebensfaden unseres ganzen Daseins. An ihr hängt alles. Leider ist es oft der Missbrauch oder die Reduzierung der Liebe. Die Liebe wird oft nur zum Gefühl oder zu einem Trieb im Leben verkürzt; Liebe kann man nicht mit Geld aufwiegen, was manche machen. Nein, die Liebe ist wie ein wertvolles Getränk; da braucht es auch ein gutes Konzept, gut damit umzugehen. Ein zu viel oder zu wenig ist nicht gut. 

Heute im Evangelium hören wir von Jesus, der die Liebe zum Hauptgebot des Lebens macht.

In einem Streitgespräch mit den Pharisäern stellt er heraus, dass die Liebe nicht nur äußerliche Gebote sind, die nur für wenige bestimmt sind. Die pharisäische Richtung der Juden nämlich teilt das ganze Leben in viele Gebote ein. 613 Gebote hatten sie damals. Man kann diese Gebote auf die 10 Gebote zusammenfassen. Doch Jesus macht heute deutlich, dass die Liebe der „Rote Faden“ ist. Die Liebe ist unser innerstes Lebensprinzip. Was schon im Alten Testament mit Dtr 6,5 (Liebe Deinen Gott mit ganzem Herzen) und Lev 19,18 (Liebe Deinen Nächsten) seine Worte fand, wird bei Jesus noch einmal so richtig strukturiert und zusammengefasst.

Der Faden kommt von oben. Die Gottesliebe beginnt bei Gott. „Nicht ihr habt mich geliebt, sondern ich habe Euch zuerst geliebt“. Damit will uns ans Herz gelegt sein, dass wir durch die Liebe Gottes „dasein“ dürfen, und diese Liebe schenkt uns das Leben, nach dem jeder sucht. Mit Jesus haben wir dann diese Liebe in der deutlichsten Form unter uns. Er ist für uns aus Liebe gestorben. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer für den anderen sein Leben hingibt.“

Und wir leben aus dieser Liebe: alles, was sich im Leben regt, kommt aus dieser Liebe. Liebe heißt, dass wir nicht da sein müssen, sondern da sein dürfen. Auf diese Liebe „von oben“ dürfen wir Antwort geben. Im Gebet, im Gottesdienst, im Liebesdienst.

Vielleicht mag einer nicht so recht glauben – an diese Liebe Gottes. Mag es einer nicht so recht schaffen, zu beten oder Gottesdienst zu feiern. Aber jeder hat eine Ahnung in sich, dass wir in Gottes Liebe stehen. Wir fragen nach Größerem, wir suchen das Glück, wir suchen nach Gemeinschaften. Das ist schon eine erste Form von Glauben an Gott und Antwort auf die Liebe Gottes.

Natürlich hat dieser Faden nach oben auch den Faden zum Nächsten und zu sich selbst. Wichtig ist hier auch die Liebe zu sich selbst. Sich selbst als Mensch und Gottes Schöpfung zu achten ist wichtig. Wer sich selbst nicht lieben kann, lebt die Liebe zu selbstlos oder vielleicht gar fanatisch, ist also ohne echte Beziehung zum anderen.

Die Nächstenliebe ist nicht äußerliches moralisches Gebot. Gutes zu tun ist nicht ein frommes Ableisten von guten Handlungen. Oder einfach nur eine Gewissensberuhigung. Die Nächstenliebe ist innerlich. Wichtig ist hier, den Faden aufzunehmen, Gottes Liebe durch Jesus und in Jesus auch weiterzugeben. Weil ich eine Beziehung zu Jesus aufbaue, bin ich in der Nächstenliebe. So wie es Mutter Theresa auch schlicht und einfach gesagt hat, als sie gefragt wurde, warum sie Leprakranke auf den Straßen von Kalkutta wäscht. Bei jedem Menschen steht Jesus dahinter, sagt sie.

Wie weit darf die Nächstenliebe gehen?
Jesus heute öffnet diese Liebe für alle und entgrenzt sie ganz. Jedem, der Hilfe braucht, gilt diese Nächstenliebe. Natürlich gilt immer: Soweit ich Hilfe leisten kann!

Wie weit darf die Liebe überhaupt gehen?
Sicherlich, auch diese Frage darf am Schluss gestellt sein. Wie weit darf ein Christ gehen, sein Leben aus Liebe hinzugeben. Das ist sicherlich nicht einfach zu beantworten. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass nach wie vor das Christentum die meistverfolgte Religion ist und es hier auch viele Martyrien gibt. 

Selbstmordattentäter, die Terror und Unheil verbreiten, schließen sich hier klar aus. Wer sich selbst nicht liebt, also auch die Würde eines Jeden, der ein „Selbst“ hat, nicht anerkennt, erkennt auch Gottes erste Liebe nicht an. Der verliert den Faden nach oben. Wenn ein Mensch allerdings für die Gerechtigkeit eintritt und so unter Umständen dann zu Tode kommt, kann schon als Vorbild gesehen werden.

Sophie Scholl zum Beispiel hat sich aus einer tiefen Beziehung zu Jesus heraus im Dritten Reich für die Wahrheit eingesetzt, als sie Flugblätter verteilte und so verurteilt wurde. Natürlich dürfen wir unendlich dankbar sein, dass wir in keinem Unrechtsstaat leben und den Glauben und seine Überzeugungen frei ausüben dürfen.

Liebe Schwestern und Brüder, die Liebe bleibt eine „unendliche Geschichte“. Doch das Lied vom Anfang hat schon Recht:

Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten,
als Zeichen der Liebe ist Jesus gestorben,
als Zeichen der Liebe für die Welt.