von Pfarrer Thomas Gruber.
Und siehe, ein Gesetzeslehrer stand auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn:
Lukas 10,25-37
Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?
Jesus sagte zu ihm:
Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
Er antwortete:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.
Jesus sagte zu ihm:
Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben!
Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus:
Und wer ist mein Nächster?
Darauf antwortete ihm Jesus:
Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber.
Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?
Der Gesetzeslehrer antwortete:
Der barmherzig an ihm gehandelt hat.
Da sagte Jesus zu ihm:
Dann geh und handle du genauso!
In den letzten Wochen war man wirklich überwältig davon: Nachdem die Ukraine von den militärischen Verbänden der russischen Streitmachte in einer völlig überraschenden Großaktion überfallen wurde, und die Menschen dort im Kriegszustand aufwachten, entflohen viele dieser Situation. Hunderttausende, ja Millionen, gingen dafür auch ins Ausland und die Aufnahmebereitschaft für diese Menschen war echt überwältigend.
In Anrainerländern wie Polen, Litauen, Moldawien, Slowakei etc. wurden diese Menschen mit offenen Armen aufgenommen. Und sofort wurde Hilfe zur Seite gestellt. Auch bei uns in Deutschland, wo auch gleich viele Menschen ankamen, waren Spendenaktionen schnell durchgeführt, wozu spontan auch die Beteiligung sehr groß war.
Liebe Schwestern und Brüder,
das passt ja sehr gut zum heutigen Evangelium. Zum bekannten Evangelium vom barmherzigen Samariter. Dieses Evangelium braucht man nicht lange kommentieren, es ist eine sehr bekannte Stelle in der gesamten Bibel.
Es gibt, schon bevor sich die Tagespolitik in unser Leben einschaltet, eine klare Aussage vor:
Die Gottes- und die Nächstenliebe sind das A und O des Christlichen Daseins. Und im heutigen Lukasevangelium (nur er berichtet von diesem Gleichnis) wird die Nächstenliebe mit einem ganz einfachen Beispiel illustriert: Ein Mann wird überfallen und ein Samariter hilft spontan und vorbehaltlos!
Die Nächstenliebe steckt ihn jedem von uns. Nicht nur in dem, der sich (jetzt) von Jesus ansprechen lässt.
Der barmherzige Samariter sah die Not, hatte Mitleid und handelte so, wie es ihm möglich war.
Wenn diese einfachen Worte nochmals genauer unter die Lupe genommen werden, ergibt sich die Aussage: In einem jeden von uns steckt das „Herz der Nächstenliebe“ zu dem Zeitpunkt, wo sie gerade nötig ist.
Im Erzählverlauf des Evangeliums war der Samariter ein Fremder und dieser leistete Hilfe. Der Samariter gehörte nicht zur Gemeinschaft der Juden aus Jerusalem und war damit ein unbeliebter Außenseiter. Man kann hier also fragen, welchen Grund hätte er für seine Hilfsbereitschaft gehabt. Das macht hier bereits deutlich, dass nicht nur der Familiengenosse oder der Volksgenosse Hilfe braucht und verdient, sondern: Über alle Grenzen hinweg braucht jeder Mensch Hilfe immer und überall, zu jeder Zeit und an allen Orten, weil er zu Gottes geliebter Schöpfung gehört.
„Nächstenliebe“ ist uns nicht einfach von außen anerzogen, oder müssen wir machen, weil es einmal Mutter oder Vater gesagt haben. „Nächstenliebe“ liegt in der „Herzkammer unseres seelischen Daseins“, … eines jeden seelischen Daseins überhaupt. Insofern diese Herzkammer funktioniert.
Im griechischen Originaltext heißt der Ausdruck „Mitleid haben“ (was ja der Samariter gehabt hat): Es in den „Eingeweiden tragen“. Wir tragen also das Mitleid und die Nächstenliebe wie unser Innerstes in uns. Wie in unseren „Eingeweiden“.
Der benediktinische Weisheitslehrer David Steindl Rast sagte dazu einmal sehr trefflich: Man muss ja eigentlich sagen: Liebe deinen Nächsten „als dich“ selbst und nicht „wie dich“ selbst“! „Liebe deinen Nächsten als dich selbst!“ macht noch deutlicher, dass gerade das Leid des Anderen auch mein eigenes Leid ist. Jeder gehört zu mir wie meine eigenen Körperteile.
Und Steindl Rast sagt weiter: Wir alle sind Abbilder Gottes und als „Kopien Gottes“ tragen wir die Eigenschaften Gottes in uns. Also: Barmherzig zu sein, wie ER barmherzig ist. Natürlich sind wir das nicht immer. Aber Jesus spricht im heutigen Lukasevangelium das Grundsätzliche an.
Wir sind als direkte Schöpfung Gottes auf die Nächstenliebe hin geeicht.
Wenn der Mensch nicht darauf hin geeicht ist, dann steht er schief. Der Priester und der Levit im heutigen Evangelium sind für Jesus heute die Fälle, die diese Schieflage beschreiben.
Jesus verurteilt die beiden zunächst nicht direkt. Denn sie könnten ja auch Angst gehabt haben, in einen Hinterhalt geführt und selber dann überfallen und ausgeraubt zu werden.
Doch er nimmt die beiden als „Negativmodelle“ – so, wie es nicht laufen sollte. Da nimmt er ja ausgerechnet noch zwei, die die Gottesliebe als „das andere Wichtige (laut dem Doppelgebot der Liebe) im Leben wirklich gut leben; also zwei, die im Tempel den Gottesdienst und somit die Gottesliebe sicher „gut machen“. Doch die beiden umgehen im wahrsten Sinne des Wortes die Liebe zum Nächsten, der Hilfe braucht: Sie gehen vorbei. Auch hier braucht es eine genauere Übersetzung aus dem griechischen Original. Da heißt es: „Sie machen einen großen Bogen darum“, um Leid nicht sehen zu müssen. Sie laufen weitläufig um den schwer Verletzten herum, damit sie nicht in die Versuchung geraten, doch noch Mitleid zu bekommen. Dieses „Herumgehen“ um das Leid es Anderen, damit ich es bloß nicht sehen muss, ist ein großes Thema im Leben der Menschen. Das „Ausweichen“, das zwischenmenschliche „Weitwegbleiben“, das „Nicht sehen wollen“, das „Distanzierte“, das „Beziehungslose“, das „eine Schale um mich herum aufbauen“ ist immer ein großes Problemfeld menschlichen Daseins.
Und doch: Jede Not ist meine eigene Not, ist mein Selbst. Es ist sogar eigentlich die Not Gottes selbst. Mutter Theresa hat da schön gesagt – bei ihrer Arbeit in Kalkutta und mit den Ärmsten der Armen: Wenn ich einen Aussätzigen berühre und wasche und ihm damit zeige, dass er auch ein Mensch ist, dann ist das so, als wie wenn ein Priester den heiligen Leib Christi berührt, … während der Heiligen Messe.
Liebe Schwester und Brüder, bei aller Diskussion in der Tagespolitik um Flüchtlinge gibt es ein Abwägen und Nachdenken darum, wie wir es machen, damit es gut ist. Jesus sagt: Bitte geht um das Leid nicht herum, weil: Wenn die Welt leidet, leide ich – und du (mit). Und du bist barmherzig, wie Dein Vater im Himmel es ist! Geh und Handle genau so!