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Die Heilung des Blinden

von Pfarrer Thomas Gruber.

Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß am Weg ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut:
Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!

Viele befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter:
Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!

Jesus blieb stehen und sagte:
Ruft ihn her!

Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm:
Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich.

Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn:
Was willst du, dass ich dir tue?

Der Blinde antwortete:
Rabbuni, ich möchte sehen können.

Da sagte Jesus zu ihm:
Geh! Dein Glaube hat dich gerettet.

Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach.

Markus 10,46-52

Bei diesem heutigen Evangelium von der Blindenheilung, von der Heilung des Bartimäus, braucht es keine lange Einleitung. 

Zwei wesentliche Punkte gilt es herauszugreifen, weil diese den Kern der Evangeliumsstelle ausmachen. Um diese zwei Punkte wirklich auch zu erkennen, bedarf es eines offenen Blickes, also eines offenen Herzens; doch genau um diesen offenen Blick geht es auch inhaltlich am Ende dieses 10. Kapitels im Markusevangelium (Markus 10,46ff).

Die Heilung des blinden Bartimäus steht nur im Markusevangelium. Sie steht an einer besonderen Stelle im Ablauf bei Markus, nämlich am Ende des Weges Jesu nach Jerusalem. In den nächsten Versen zieht er dann („mit Palmsonntag“) in die Heilige Stadt ein, wo er dann auch sein Leid, seinen Tod und dann seine Auferstehung erleiden bzw. erfahren wird. Diese Blindengeschichte ist nicht einfach nur eine Heilung von einem Augenleiden. So damit dieser Mensch nicht mehr bei Tag gegen Türpfosten donnert, „rot“ von „blau“ unterscheiden kann und den Sonnenaufgang sieht.

Heute geht es um ein wesentlich größeres „Sehvermögen“: Es geht darum, seinen „Weg mit Gott“ zu erkennen. Den Weg zu erkennen, den wir mit Gott gehen dürfen, damit wir durch das Leid und den Tod auch den Weg ins „Ewige Leben“ finden. 

Seine eigenen Apostel sind in den Kapiteln und Versen vorher das Gegenbeispiel. Man könnte sagen, sein engster Kreis gehört voll zu den Blinden. Immer wieder erzählt er ihnen, dass er leiden und sterben muss, um zur Auferstehung in Jerusalem zu gelangen. Er will ihnen sagen, dass sie mit ihm auch das Kreuz (im Leben) akzeptieren müssen, um das Leben zu gewinnen. Doch seine Apostel sehen nur „sich“: Sie wollen die Ersten im Himmelreich sein, sie wollen kein Leid im Leben erfahren; ein bisschen wirken sie wie kleine „Egoisten“, wenn sie auf „blind“ schalten. Sie verstehen und sehen nicht, wo es für Jesus „lang geht“. Der blinde Bartimäus wird im Gegensatz dazu geheilt. Im Evangelium fällt dazu sofort auf, dass die Heilung dazu gar nicht lange beschrieben wird. Da heißt es gleich: „Geh! Dein Gaube hat dich gerettet“ Und er folgte Jesus nach. Als würde Jesus leise noch dazu sagen: „Deine inneren Augen sind offen. Du hast es kapiert, dass das Leben nur mit mir und mit dem Vertrauen in mich gelingen kann. Dann hast Du auch im Leid immer noch Boden unter den Füßen. Dann bist Du auf dem echt richtigen Weg.“

Diese innere Blindheit loszuwerden und Jesus das ganze Vertrauen zu schenken ist PUNKT NUMMER EINS.

PUNKT NUMMER ZWEI  beschreibt dann heute sehr schön, wie wir Vertrauen in Jesus geschenkt bekommen. Das Gottvertrauen ist auch ein Wunder. Doch um dieses Wunder dürfen wir uns auch bemühen, so erzählt es zumindest das „Markusevangelium“  von heute.

Da fällt schon auf, dass der Geheilte von heute einen Namen hat, Bartimäus. Nur in dieser Evangeliumsstelle ist das so. Sonst hören wir nie vom Namen bei einem Geheilten. Das will deutlich machen: Wir müssen uns vor Gott nicht „entkernen“, wenn wir ihm vertrauen, also nachfolgen wollen. Oft heißt es ja, Gott ist alles und Du bist nichts. Doch hier würde ich sagen: Ja! Gott ist alles, und er schaut voll auf Dich, weil Du „wer“ bist.

Gott will unser Vertrauen. Das heißt heute, er will uns nicht „unterwerfen“ und keinen „blinden militärischen Gehorsam“. „Seinen Willen Gott übergeben“ hat, hier eine ganz andere Bedeutung, oder besser gesagt, andere „Vorgehensweise Gottes“.

Erstaunlich ist heute, dass der Bartimäus selbst seinen Willen deutlich kundtun darf. Er darf sich von Gott was wünschen, er darf schreien und sich auch bemühen: „Jesus Sohn Davids hab Erbarmen mit mir!“

Und Jesus fragt sogar noch nach: „Was soll ich Dir tun?“

Gott will also keine „willenlosen Geschöpfe“, die sich dann total seinem Willen unterwerfen. Gott will das Vertrauen von Menschen, die auch vor und von Gott ihre Größe, Würde und ihren „Ausdruck“ haben. Wenn Gott uns Menschen in seinen Raum des Vertrauens ruft, wenn Gott uns auf seinen Weg des Lebens mitnehmen will, dann will er nichts „Schlappriges“ oder „Schlaffes“, sondern Menschen mit einem klaren Willen, der auch freudig aufspringen und „Überflüssiges“ abwerfen kann, um sich für ihn die Augen öffnen lassen. 

Einzig – das noch als Nebenbemerkung des heutigen Evangeliums: Vor Enttäuschungen will Jesus uns nicht bewahren! Das ist auch die (bittere) Erkenntnis des Bartimäus von heute: Dass es da „Stimmen“ gibt, woher sie auch kommen, die da sagen: „Lass es, es hat eh keinen Sinn. Was willst Du denn mit deinem Glauben?“ Auch der Bartimäus braucht echt „Durchhaltevermögen“ und die Kraft, Rückschläge zu verkraften. Doch dann kommt er zum Ziel. Jesus nimmt ihn mit, weil er die offenen Augen hat, die ihn durch Kreuz und Tod ins Leben gehen lassen. 

Nikolaus von Zinzendorf von der „Evangelischen Brüdergemeinde“ hat es schon im 18. Jahrhundert mit einem Kurzgedicht auf den Punkt gebracht. So gut auf den Punkt, dass es sogar der bekannte dänische Philosoph Sören Kierkegaard als Vorwort zu seinem letzten großen Werk („Krankheit zum Tod“) verwendete:

„Ach Herr gib blöde Augen, für Dinge die Nichts taugen; doch gib den Augen Klarheit, in alle deine Wahrheit.“