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Die Arbeiter im Weinberg

von Pfarrer Thomas Gruber.

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.

Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen:
Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.

Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder hinaus und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde noch einmal hinausging, traf er wieder einige, die dort standen.

Er sagte zu ihnen:
Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig?

Sie antworteten:
Niemand hat uns angeworben.

Da sagte er zu ihnen:
Geht auch ihr in meinen Weinberg!

Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter:
Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten!

Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denar.

Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn und sagten:
Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen.

Da erwiderte er einem von ihnen:
Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin?

So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.

Matthäus 20,1-16

Das Evangelium, in welchem Jesus uns Anweisungen für ein gutes Leben gibt, provoziert nicht selten. Oft sind Jesu Worte hart und wirken sehr streng und radikal, wenn man zum Beispiel an die Bergpredigt denkt. Doch zweimal provoziert Jesus mit seinen Worten im Evangelium genau umgekehrt: Da fordert er den Zuhörer mit seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit heraus. So dass dann die Frage aufkommt: „Ist denn das gerecht?“

Das bekannteste Evangelium von Gottes Güte ist die Geschichte vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Vater. Also die Geschichte, wo der Barmherzige Vater ganz hemmungslos vergibt. Eine zweite Geschichte, die uns eher zum Kopfschütteln veranlasst, ist das Evangelium von heute: Es erzählt von einem Gutsherrn, der sein Geld so ausgibt, wie er will und damit – auf den ersten und auch auf den zweiten Blick – unser Verständnis von Gerechtigkeit völlig auf den Kopf stellt.

Da arbeiten Tagelöhner den ganzen Tag in Hitze und Mühsal, und sie bekommen auch nur einen Denar – so wie die Arbeiter, die nur eine Stunde im Weinberg waren. Das ist provokant. Das kann man nicht so leicht wegdiskutieren oder „harmonisch machen“. 

Natürlich wurden über die Jahrhunderte viele Möglichkeiten gefunden, dieses Evangelium verständlich auszulegen oder zu interpretieren:
Der, der spät erst zum Glauben kommt, bekommt die gleiche Liebe Gottes wie der, der schon von Anfang an seit seiner Kindheit glaubt, so lautet eine Auslegung dieses schwierigen Evangeliums. Oder: Der Mensch muss lernen, sich nicht zu vergleichen und so sich unglücklich zu machen, lautet eine eher moralische Auslegung des Evangeliums.

Trotzdem: Dieses Evangelium bleibt in seiner Substanz provokant. Denn Gottes Handeln, welches ja durch den Gutsherrn zum Ausdruck kommen soll, ist nicht „gerecht“. Er gibt denen, die mehr schuften, nicht entsprechend mehr Lohn als denen, die nicht so viel gearbeitet haben. Das klingt nach Willkürherrschaft. Ja „Willkürherrschaft Gottes“. Willkürherrschaft haben die griechischen Philosophen dem Gott der Bibel, egal ob im Alten oder im Neuen Testament, gerne vorgeworfen. Das heutige Evangelium sei doch nun ein Beleg dafür. So deren Meinung.

Liebe Schwestern und Brüder,
natürlich lässt sich das Evangelium auch so erzählen, dass man da einen, wenn auch nicht ganz gerechten, durchaus sehr sozialen Gott erkennen kann. Man könnte die Geschichte so erzählen, dass der Gutsbesitzer ja jedem einen Denar versprochen hat. Und: Ein Denar war für einen Tagelöhner die Geldsumme, die man brauchte, um eine Familie zu ernähren. Der Gutsherr hat es mit denen am Tagesanfang so vereinbart, und wenn da jetzt noch um fünf Uhr Nachmittags welche keine Arbeit gefunden haben, unverschuldet, bekommen diese hier bei ihm die Chance zur Arbeit und damit auch das Geld, damit die Kinder satt werden. Der Gutsherr musste auch auf sein Geld schauen, er hatte nicht den Spielraum, mehr zu zahlen als nötig.

Mit dieser Auslegung kann man leben; doch es ist auch (nur) eine „Auslegung“ des Ganzen.

Die Provokation bleibt – irgendwie – doch bestehen. Der Gutsherr bricht die Regeln der Gerechtigkeit. Das Leistungsprinzip – durchaus eine wichtige Regel unseres irdischen menschlichen Daseins – wird durchbrochen. Doch, ich denke, diese „Provokation“ wird hier ganz bewusst gemacht: Jesus will diese Geschichte als ein „Kontrastmittel“ in unserem Denken einsetzen (vgl. G. Lohfink). Das heißt: Unser Denken in „Leistung“, „Arbeit“ und „Erfolg“ bestimmt unser Leben, das will Gott nicht  wegmoralisieren, geschweige denn wegzaubern. Er will aber damit auch sagen, – ohne dass man Gott gleich als Willkürherrscher abstempelt – dass Gottes Güte immer (auch) ein „Faktor“ in unserem Glaubensleben ist. „Herr Deine Güt ist unbegrenzt“ ist nicht nur ein frommes Lied, sondern auch eine Realität, die durch alles Handeln durchscheinen will. Eine Realität, die auch provoziert. Gott gibt jedem eine Chance. Eine Chance, die unverdient wirkt.

Der Mensch würde sich in Verbissenheit und Frustrastration verlieren, gäbe es dieses „Kontrastmittel der Güte Gottes“ – so ungerecht sie auf den ersten und zweiten Blick auch erscheinen mag – unter uns Menschen nicht. Ein anderes Denken also, das uns auch „leichter leben“ lässt und den Glauben „genügsamer“ macht.

Klar soll sein, Gott will nicht in der Willkür ungerecht sein und uns zu solcher Ungerechtigkeit anstiften, sondern Gott will uns bereichern. Nur so gewinnen wir die Freiheit, Verbissenes und Enges in unserem Denken zu überwinden, manches sein lassen zu können, zu vergeben und so Neues in uns wachsen zu lassen.